Richard Sietmann c't 14/2000, S. 218: Elektrosmog
Störfunk fürs Gehirn
Mythos und Realität von Gesundheitsschäden durch elektronische
Geräte
Kaum ein Thema ist so geeignet, die Öffentlichkeit zu polarisieren,
wie die Diskussion, die unter dem Stichwort 'Elektrosmog' geführt wird.
Die Schlagzeilen lauten je nach Bedarf 'Hitzkopf am Handy' oder 'Restrisiko
einer Pudelmütze'. Wann immer es um die elektromagnetische
Umweltverträglichkeit (EMVU) geht, bewegt sich die Diskussion zwischen
Hysterie und Bagatellisierung.
Das Thema Elektrosmog taucht in unregelmäßigen Abständen immer
wieder in den Medien auf. Einmal prunkt ein Bericht mit dem vermeintlichen
Beweis, die elektro
magnetischen Felder
moderner Hightech-Geräte seien gesundheitsschädlich; ein anderes
Mal wieder führt ein Artikel den angeblich unschlagbaren Nachweis, das
sei alles Quatsch und nichts so ungefährlich wie ein Handy.
Grund zur Besorgnis gibt die lawinenartige Vermehrung von Strahlungsquellen
elektro
magnetischer Felder jedenfalls
vielen Mitmenschen: Mikrowellenherde, Mobil- und Schnurlostelefone, Babyfone,
Einbruchsicherungen, Fernsehgeräte und Computer-Monitore gehören
zur Grundausstattung in den Haushalten; im öffentlichen Raum strahlen
Rundfunk- und Fernsehsender, Wireless Local Loops als Direktanbindung der
Telefonkunden über Funk, Funkfeuer für die Flugsicherung, Richtfunk-
und Radaranlagen.
Selbst die Sonne - wichtigste natürliche Quelle - trägt zu dem bei,
was gemeinhin als 'Elektrosmog' bezeichnet wird: Sie wirft neben dem sichtbaren
Licht und den angrenzenden infraroten und ultravioletten Spektralanteilen
auch hochfrequente Strahlung im Bereich von 3 bis 300 GHz auf die Erde, dies
allerdings mit der sehr geringer Intensität von weniger als 10 Mikrowatt
pro Quadratmeter (µW/m
2). Die 'Grundkonzentration' der Emission
von Haushaltsgeräten bewegt sich vergleichsweise in der Größenordnung
von einigen Dutzend µW/m
2 und liegt damit nach heutigem Erkenntnisstand
im grünen Bereich.
Dies gilt aber eigentlich nur für die Betrachtung eines einzelnen Geräts.
Stein des Anstoßes ist der flächendeckende Ausbau des Mobilfunks,
der zudem aus Wettbewerbsgründen in Mehrfachnetzen mit Sendeanlagen konkurrierender
Betreiber erfolgt. Deren Basisstationen überdecken insbesondere dicht
besiedelte Regionen feinmaschig mit Abständen bis hinunter zu hundert
Metern und funken in den Frequenzbereichen 905 bis 959 MHz (GSM-900, D-Netz)
und 1710 bis 1880 MHz (DCS-1800, E-Netz). Anders als die ebenfalls flächen-deckende
Versorgung der UKW- und Fernsehsender, deren Sendetürme im Abstand von
einigen zehn Kilometern Leistungen von bis zu 500 000 Watt im Frequenzbereich
86 bis 107 MHz (UKW) und 170 bis 600 MHz (VHF, UHF) abstrahlen und in der
unmittelbaren Umgebung zu einer starken Exposition der Bevölkerung mit
elektro
magnetischen Feldern führen
(die Feldstärke nimmt umgekehrt proportional mit der Entfernung ab),
stützt sich der Mobilfunk auf viele kleine Funkzellen mit schwachen Sendern.
Die Sendeleistung der Basisstationen liegt zwischen fünf und 40 Watt,
die der Handys bei zwei Watt (GSM-900) beziehungsweise 0,5 W (DCS-1800).
Das Spektrum von Geräten der Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik,
die unter Elektrosmog-Verdacht stehen, liegt im Frequenzbereich von 1 MHz
bis 10 GHz.
Und die Mobilfunk-Industrie setzt zurzeit alles daran, auf Wachstumskurs zu
bleiben. Inzwischen wird auch die 2,45-GHz-Funkanbindung von Peripheriegeräten
an Computer im so genannten ISM-Band via Bluetooth als Alternative zum Kabelsalat
langsam realistisch. Glänzende Prognosen gibt es auch für die Wireless
Local Loops (WLL) und die Wireless Local Area Networks (WLAN), die sich sukzessive
die Frequenzbereiche um 5,2, 17, 19, 26, 48, 40 und 60 GHz erschließen,
um damit Daten mit Raten von 25, 155 und 622 MBit/s an stationäre und
mobile Endgeräte übertragen zu können.
Strahlungsdichte
Aus einer in den USA durchgeführten Studie geht hervor, dass in größeren
Städten die durchschnittliche Hintergrundstrahlung etwa 50 µW/m
2
beträgt; aber rund ein Prozent der Bevölkerung lebt in Großstädten,
wo sie mit mehr als 10 000 µW/m
2 einer über 200-mal
stärkeren Leistungsflussdichte - also Strahlungsleistung pro durchsetzter
Flächeneinheit - ausgesetzt ist. Doch auch dieser Wert bleibt noch weit
jenseits bislang nachweisbarer Wirkungen auf den menschlichen Organismus.
Nach der herrschenden Meinung sind für die hochfrequenten Felder nur
thermische Wirkungen auf den menschlichen Organismus wissenschaftlich einwandfrei
belegt. Die Kurz- und Mikrowellentherapie nutzt sie sogar zur Heilbehandlung
aus; dort lindert die Durchwärmung gezielt bestrahlter Körperstellen
rheumatische Leiden, Entzündungen und Abszesse.
Um Humangewebe um ein Grad Celsius zu erwärmen - diese Temperaturerhöhung
gilt als gesundheitlich unbedenklich, weil sie im Bereich normaler physiologischer
Schwankungen bleibt -, braucht es Leistungsdichten um 100 Millionen µW/m
2.
Ausschließlich an den thermischen Wirkungen auf biologisches Gewebe
orientieren sich auch die geltenden Grenzwerte. Um die Erwärmung des
Körpers auf höchstens 0,1 Grad zu begrenzen, legt die 26. Bundesimmissionsschutz-Verordnung
(BImSchVO) die höchstzulässigen mittleren Leistungsdichten für
das
GSM-900-Netz auf 4,5 Millionen, für das
DCS-1800-Netz
auf 10 Millionen µW/m
2 fest; dies entspricht maximalen elektrischen
Feldstärken von
42 beziehungsweise
58 V/m.
Ionisierende und nicht-ionisierende Strahlung hat je nach Frequenzbereich
unterschiedliche Auswirkungen - wobei sich die diversen wissenschaftlichen
Studien in der Relevanz möglicher Nebenwirkungen elektromagnetischer
Felder stark unterscheiden.
Wie die meisten Länder folgt die Bundesrepublik damit den Empfehlungen
der Internationalen Strahlenschutz-Kommission für Nicht-Ionisierende
Strahlen (ICNIRP) [
1], die wissenschaftlich basierte Richtlinien
und Grenzwerte erarbeitet und als nicht-regierungsamtliche Vereinigung förmlich
von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt ist.
Grenz- und Schwellwerte
Da die Immission selbst noch nichts über die Wirkung auf den menschlichen
Organismus aussagt, ist sie nur mittelbar ein Maß für die tatsächliche
Exposition. Entscheidend ist, wie der Körper die Einstrahlung absorbiert
und die aufgenommene Energie verarbeitet. Diese Vorgänge werden durch
die spezifische Absorptionsrate (SAR) charakterisiert, die aufgenommene Leistung
pro Kilogramm Körpermasse. Der Immission von 100 Millionen µW/m
2,
die in biologischem Gewebe zu einer Temperaturerhöhung von ein Grad Celsius
führen kann, liegt eine SAR von 4 W/kg zu Grunde.
Mit einem Sicherheitsfaktor 10 wurde als Grenzwert für beruflich exponierte
Personen ein SAR-Wert von 0,4 W/kg definiert; für die allgemeine Bevölkerung
empfiehlt ICNIRP, mit einem zusätzlichen Sicherheitsfaktor 5 die SAR
auf 0,08 W/kg zu begrenzen. An diesen Vorgaben orientieren sich die nationalen
Strahlenschutzbehörden der meisten Länder bei der Herleitung der
frequenzabhängigen Feldstärke- oder Leistungsdichte-Grenzwerte,
die sich in der Praxis leichter messen lassen als der SAR-Wert.
Grenzwerte sind, selbst wenn sie sich aus komplizierten Formeln ableiten,
eine politische Übereinkunft. Sie definieren einen Sicherheitsabstand
zu wissenschaftlich anerkannten Wirkungsschwellen. Damit markieren sie, wie
es ein Kenner der Materie einmal treffend ausdrückte, nicht unbedingt
die Schwelle der Gefährdung, sondern die des Gerichtssaales: Ein Überschreiten
muss nicht unmittelbare gesundheitliche Schäden nach sich ziehen; es
bietet Betroffenen aber rechtlich eine Handhabe, gegen den Verursacher vorzugehen.
Wissenschaftlich anerkannt sind bislang ausschließlich die thermischen
Wirkungen hochfrequenter Felder. Grenzwerte stützen sich auf bekannte
Effekte; ungesicherte Erkenntnisse oder das Risiko des Nichtwissens berücksichtigen
sie nicht. Für vermutete Gefährdungen tragen - im Juristendeutsch
- die Betroffenen die Beweislast, nicht der Zustandsstörer. Eine Umkehrung
der Beweislast erscheint kaum denkbar. Sonst müssten, da Nulleffekte
nicht beweisbar sind, die Betreiber ihre Anlagen stilllegen. In dieser Hinsicht
unterscheidet sich die Mobilfunk-Strahlung nicht von den materiellen Immissionen
ökotoxischer Chemikalien in Wasser, Luft und Boden: Jede Festlegung von
Grenzwerten ist mit einer Risikozumutung verbunden und der Fortschritt bleibt
ein andauerndes Experiment mit der Gesellschaft.
Messaktionen
Als Reaktion auf die wachsende Besorgnis der Öffentlichkeit ließ
das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr
im vergangenen Jahr an sieben Standorten Expositionsmessungen der Felder aus
UKW- und Fernsehsendern sowie Mobilfunk-Basisstationen durchführen [
2].
Die österreichische Norm S 1120 legt je nach Frequenz Grenzwerte zwischen
1 und 10 Millionen µW/m
2 fest; die ermittelten maximalen
Leistungsdichten der UKW-, VHF- und UHF-Sender erreichten 93 µW/m
2;
die höchste gemessene Leistungsdichte einer Mobilfunk-Anlage betrug 856
µW/m
2.
Bei diesem Fall handelte es sich um ein Firmengebäude, an dessen Fassade
sich eine GSM-900-Antenne befand; der gemessene Wert trat bei 909 MHz auf.
In demselben Firmengebäude lieferte die breitbandige Messung in dem gesamten
Spektralbereich von 30 MHz bis 1 GHz allerdings einen sechsfach höheren
Wert von 5198 µW/m
2, der zwar auch nur 0,26 Prozent des geltenden
Grenzwerts ausmacht, aber doch immerhin zeigt, wie sehr sich unter Umständen
die Exposition aus verschiedenen Quellen aufsummieren kann.
Bei der Auswertung der Messungen kam der Biophysiker Jiri Silny, Professor
am Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik der
RWTH
Aachen, zu dem Schluss, dass die relevanten Leistungsflussdichten einen
Faktor 1000 unter den international anerkannten Grenzwerten blieben.
'Im Allgemeinen werden diese Werte insbesondere in Wohnungen auch in der unmittelbaren
Nähe von Wohnanlagen oder in Räumlichkeiten, die sich unterhalb
der Antenne befinden, deutlich unterschritten', so das Fazit der Studie. Die
typischen Werte von Wohnungen in der Nähe von Basisstationen lagen bei
20 µW/m
2, einem Bruchteil von Promille des geltenden Grenzwerts.
'Eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch derart schwache Felder konnte
bisher nicht aufgezeigt werden', heißt es daher.
In der Bundesrepublik führt die Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post (RegTP) seit 1992 in periodischen Abständen von vier Jahren
bundesweite EMVU-Messaktionen durch. Das Monitoring soll sicher stellen, dass
mit der Errichtung immer neuer Sendeanlagen das Fass nicht überläuft
und irgendwann die höchstzulässigen Personenschutzwerte überschritten
werden. Dazu werden an rund 1250 Messorten - hauptsächlich in Bereichen
von allgemein zugänglichen Straßen, Plätzen und Anlagen sowie
Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern - die vor Ort auftretenden
Feldstärken ermittelt und ins Verhältnis zu den geltenden Grenzwerten
gesetzt.
Wurden 1992 die Immissionen im Frequenzbereich von 10 kHz bis 1 GHz gemessen,
so dehnte die RegTP bei der zweiten Messreihe 1996/97 diesen Bereich auf 10
kHz bis 2,9 GHz aus, um auch die neu hinzugekommenen Mobilfunk-Dienste insbesondere
der E-Netze mit erfassen zu können. In der derzeit laufenden Messaktion
1999/2000 wurde das Spektrum nochmals erweitert und umfasst nun in zwei überlappenden
Teilen die niederfrequenten (1 Hz bis 10 MHz) und die hochfrequenten (100
kHz bis 300 GHz) Felder. Die Auswertung soll noch im Laufe dieses Halbjahres
abgeschlossen und dann im Internet veröffentlicht werden; Tabellen mit
ersten Ergebnissen für die einzelnen Bundesländer sind dort bereits
zu finden [
3].
Die ersten beiden Messreihen legten der Bewertung noch die Grenzwerte der
Norm DIN VDE 0848 Teil 2 vom Oktober 1991 zu Grunde. Die derzeitige Messreihe
beruht im Einklang mit der BImSchVO und der EU-Empfehlung 1999/519/EG vom
Juli letzten Jahres auf den ICNIRP-Richtlinien. Allerdings lassen sich auf
Grund der Umstellung die neuen Messergebnisse nicht mit den früheren
vergleichen und erlauben somit auch keine Rückschlüsse auf die zeitliche
Entwicklung der Immissionen an einem bestimmten Messpunkt; Aussagen, ob an
einzelnen Standorten eine Zunahme oder Abnahme des Feldstärkeniveaus
erkennbar ist, sind somit nicht möglich.
Ein echter Verlust an Information ist das nicht, denn selbst die jetzt im
Frequenzbereich von 100 kHz bis 300 GHz ermittelten Höchstwerte bewegen
sich noch im Promillebereich des maximal zulässigen Wertes. In Berlin
beispielsweise ergab sich als höchster Messwert 0,6 Prozent, als niedrigster
0,01 Prozent des Grenzwerts; in Nordrhein-Westfalen lag die Spanne zwischen
0,8 Prozent und 0,002 Prozent.
Hitzköpfig
Sowohl die österreichische als auch die bundesdeutsche Messaktion, die
übereinstimmend die aktuell verhältnismäßig geringe Belastung
der Allgemeinbevölkerung aufzeigen, beschränkten sich auf die Erfassung
der von ortsfesten Sendeanlagen hervorgerufenen Immissionen. Die Wirkung der
Handys auf die Mobilfunk-Teilnehmer selbst war nicht Gegenstand der Untersuchungen.
'Wenn überhaupt eine Beeinflussung vorliegt, dann würde ich sie
primär von den Handys erwarten', meint Silny; 'die
Exposition durch
Handys ist ja Faktor 1000 bis 10 000 stärker als die durch Basisstationen'.
Typische SAR-Werte der Mobiltelefone liegen zwischen 0,2 und 0,4 W/kg. Die
Streuung ist jedoch wesentlich größer und reicht von 0,02 bis 1
W/kg.
Der Grund für diese Spannbreite ist nicht nur in den Konstruktionsunterschieden
der Hersteller zu finden, sondern liegt teilweise auch an der Art der Messung
und den dazu herangezogenen Kopf- und Absorptionsmodellen. Im ungünstigsten
Fall, und wenn das Gerät bei schwierigen Empfangsbedingungen mit voller
Leistung strahlt, kann sich das
Kopfgewebe folglich um einige zehntel Grad
erwärmen, ein Effekt, den Spötter mit dem Aufsetzen einer Pudelmütze
vergleichen.
Aber sind die thermischen Wirkungen, auf denen gegenwärtig die Grenzwertfestsetzungen
beruhen, tatsächlich die einzigen? Die herrschende Meinung geht davon
aus, dass nicht-ionisierende Strahlung bei geringer Intensität harmlos
ist und nachweisbare Wirkungen erst ab einem Schwellwert bei einer bestimmten
Mindestfeldstärke eintreten. Im Unterschied zu Röntgen- und Gammastrahlen
sind die hochfrequenten elektro
magnetischen
Felder viel zu schwach, um die Bindungen, die die Moleküle in den Zellen
zusammenhalten, aufzubrechen und biologisches Gewebe - etwa die
DNS
im Zellkern - durch Ionisierung zu schädigen. Zu dieser Aufspaltung ist
mindestens eine Strahlungsenergie von einigen Elektronenvolt (eV) nötig;
die 1-eV-Grenze liegt im ultravioletten Teil des Spektrums. Davon ist die
Energie der Strahlungsquanten von Mobilfunk-Wellen - sie beträgt 4 µeV
bei 0,9 GHz und 7 µeV bei 1,8 GHz - etwa um den Faktor 10
-6
entfernt.
Wenn es also
nicht-thermische Effekte und 'low-level radiation hazards'
der nicht-ionisierenden Strahlung geben sollte, müssen sie auf anderen
Wechselwirkungsmechanismen beruhen. Die Komplexität der medizinischen
und physikalischen Zusammenhänge lässt hier ein weites Feld für
Interpretation und Spekulation. Für Aufsehen sorgten beispielsweise zwei
Arbeiten, in denen 1992 der amerikanische Biologe Robert Liburdy über
den
Einfluss elektromagnetischer
Felder auf die Kalziumionen-Mobilität in Zellen berichtete. Da Kalziumionen
eine wichtige Rolle bei der Zellteilung spielen und das Wachstum von Tumoren
wiederum mit der Zellvermehrung zusammenhängt, begründeten sie erstmals
den Verdacht, dass nicht-ionisierende Strahlung
krebsfördernd sein
könnte. Das klang plausibel, und entsprechend genau wurden die Arbeiten
von den Fachkollegen gewürdigt. Die Resultate ließen sich jedoch
nicht reproduzieren; Unstimmigkeiten legten vielmehr den Verdacht nahe, dass
die experimentellen Ergebnisse manipuliert waren. Nach einem langwierigen
Verfahren wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zog der Autor im vergangenen
Jahr beide Veröffentlichungen zurück.
'Es gibt wenige Fachgebiete', meint Jiri Silny, 'die derart mit theoretischen
Ansätzen, spekulativen Denkmodellen, unbewiesenen Hypothesen oder Theorien,
aber auch mit Aberglauben durchsetzt sind'. In den letzten 30 Jahren sind
rund 25 000 Fachveröffentlichungen zum Thema erschienen. Rund
3000 hat Silny zurzeit in einer Datenbank erfasst, mit der er für mehr
Transparenz sorgen will [
4].
Das Überangebot an Information verschleiert eher, wie wenig man wirklich
weiß. In der emotional aufgeladenen Debatte beschränken sich die
meisten Wissenschaftler lieber auf die Generierung von Mikrowissen und scheuen
vor zusammenhängenden Bewertungen zurück. Da heißt es dann
etwa in einer Untersuchung zur Bestrahlung von Fadenwürmern mit 750-MHz-Mikrowellen,
die Resultate 'deuten darauf hin, dass die derzeitigen Expositionsgrenzwerte
möglicherweise überprüft werden müssen', denn ähnliche
Effekte wie die beobachteten 'könnten unter Mikrowelleneinfluss auch
in menschlichem Gewebe auftreten, eine Möglichkeit, die weiterer Untersuchungen
bedarf' [
5].
'Möglicherweise', 'könnten', 'deuten darauf hin' - Wissenschaftler
sind aus guten Gründen vorsichtig in ihrer Wortwahl. Da es in der Biologie
und Medizin nicht möglich ist, Nulleffekte zu beweisen, kann sich die
Zunft der Angelegenheit nur mit Trial and Error nähern, indem sie Hypothesen
über vermutete oder verdächtigte Wirkungsmechanismen aufstellt und
dann versucht, diese in experimentellen Simulationen oder epidemiologischen
Studien zu verifizieren. Unterdessen ruft das Publikum auf den Rängen
'Bravo' oder 'Schiebung', je nachdem, welche Interessen oder Vorurteile von
der neuesten Untersuchung gerade bedient werden. Schon wird die ganze Veranstaltung
diskreditiert mit der Unterstellung, die Forscher würden höchst
eigennützig Ängste und Befürchtungen schüren und etwaige
Gefährdungen und Risiken bewusst dramatisieren, um darzulegen, wie dringend
es weiterer Forschungen und Fördermittel bedürfe.
Doch so einfach lässt sich die Diskussion um die 'low-level radiation
hazards' nicht beerdigen. Es gibt durchaus
ernst zu nehmende Hinweise auf
nicht-thermische Wirkungen hochfrequenter, elektromagnetischer
Felder geringer Intensität. Die zellbiologische Untersuchung der
Forscher von der Universität Nottingham und der kanadischen University
of British Columbia an den Fadenwürmern beispielsweise zeigte, dass die
bestrahlten Würmer so genannte
Hitzeschock-Proteine produzierten.
Diese speziellen Eiweiße agieren als molekularer Schutz zur Rettung
von Zellproteinen, wenn ein Organismus von Wärme oder toxischen Stoffen
angegriffen wird.
Aber in diesem Fall war keine Wärme im Spiel. Die spezifische Absorptionsrate
betrug nur 1000 µW/kg - war also deutlich geringer als die 200 000 bis
400 000 µW/kg handelsüblicher Handys - und die Körpertemperatur
der Tiere in den Proben blieb gleich. Um denselben Effekt auf thermischem
Wege zu erzielen, hätte sie mindestens um drei Grad ansteigen müssen.
Dass die Versuche an Fadenwürmern durchgeführt wurden, ist nicht
unbedingt beruhigend: Die Hitze-Schock-Reaktion ist ein universeller Mechanismus,
mit dem auch menschliche Körperzellen entsprechende Eiweiße ausschütten,
wenn sie unter Stress geraten.
Restrisiko?
Epidemiologische Auffälligkeiten zwischen der Handy-Nutzung und der Häufigkeit
von Krebserkrankungen sind bisher nicht beobachtet worden. Aber da Tumore
mehrere Jahre zur Entwicklung benötigen, lässt sich daraus noch
nichts ableiten. Um Langzeitwirkungen herauszufinden, müssen so genannte
Fall-Kontroll-Studien an Erkrankten und Gesunden nicht nur ein Nutzungsverhalten
erfassen, das etwa fünf bis zehn Jahre zurückliegt - also in die
Frühphase des Mobilfunk-Booms fällt -, sondern es auch noch von
anderen Krebs auslösenden Faktoren statistisch signifikant abgrenzen
können. Immerhin: Schon der geringe Anstieg der Krebswahrscheinlichkeit
um ein Promille würde unter den derzeit rund einer halben Milliarde Handy-Nutzern
weltweit 500 000 Tumorerkrankungen zusätzlich bedeuten.
Aufschluss über derartige Langzeit-Risiken soll das 1996 von der Weltgesundheitsorganisation
ins Leben gerufene Internationale EMF-Projekt liefern [
6].
Im Rahmen dieses Projektes organisiert derzeit das in Lyon ansässige
Internationale Krebsforschungszentrum (IARC) Fall-Kontroll-Studien an mehr
als 6000 Probanden in Deutschland, Frankreich, England, den Vereinigten Staaten
und neun weiteren Ländern. Nach dem Abschluss der rund zwölf Millionen
Mark teuren Erhebung - erste Ergebnisse sind in drei bis vier Jahren zu erwarten
- lässt sich dann vielleicht die Frage beantworten, ob die Exposition
mit niedrigdosierten HF-Feldern mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden
ist.
Neben den klinischen Untersuchungen hat sich das noch bis zum Jahre 2005 laufende
WHO-Vorhaben die Koordinierung der Forschungsaktivitäten und die Vereinheitlichung
der oftmals nicht vergleichbaren Messmethoden und Auswerteverfahren zum Ziel
gesetzt. Angeschlossen haben sich rund 40 Staaten sowie eine Reihe internationaler
Organisationen. Die konkreten Arbeiten führen die Internationale Kommission
für den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (ICNIRP) und weitere
Einrichtungen, die mit der WHO auf wissenschaftlicher Ebene zusammenarbeiten,
durch. Dazu zählen das National Radiological Protection Board (England),
das Bundesamt für Strahlenschutz (Deutschland), das Karolinska Institut
(Schweden), das Nationale Institut für Umweltforschung (Japan) sowie
die Food and Drug Administration, das National Institute of Environmental
Health Sciences und das National Institute of Occupational Safety and Health
in den USA.
Geleitet wird das internationale
EMF-Projekt von Michael Repacholi.
Der Australier hat einen Wandel vom Paulus zum Saulus durchgemacht. Ursprünglich
war er selbst von der Unbedenklichkeit der Handy-Emissionen überzeugt
- bis er eigene Untersuchungen anstellte. Mit seinem Team am Royal Adelaide
Hospital setzte er Labormäuse, das Modellsystem der Biomediziner, mit
einer SAR von 0,008 bis 4,2 W/kg über 18 Monate
täglich eine
Stunde lang den gepulsten 900-MHz-Feldern eines GSM-Mobilfunk-Handys aus.
Dabei stellte sich heraus, dass in der bestrahlten Gruppe
Geschwülste
der Lymphknoten - so genannte Lymphome - doppelt so häufig auftraten
wie in der unbestrahlten Kontrollgruppe.
Repacholi hatte die Arbeit zunächst beim Wissenschaftsmagazin Science
eingereicht, das die Veröffentlichung jedoch mit der Begründung
ablehnte, derartig folgenschwere Ergebnisse könnten eine Panik hervorrufen
und müssten erst durch ein unabhängiges Team verifiziert werden.
Nature und drei weitere einschlägige Fachzeitschriften lehnten die Publikation
ebenfalls ab, bis sie dann 1997 in Radiation Research erschien [
7].
In Australien und Europa bemühen sich gegenwärtig Forschergruppen,
Repacholis Ergebnisse zu reproduzieren; selbst wenn sich die Ergebnisse bestätigen
sollten, bliebe noch die Frage der Übertragbarkeit auf den Menschen zu
klären. Bis auf weiteres jedenfalls müssen Handy-User mit der Ungewissheit
leben.
Unbequeme Experten
Die bislang umfassendste Bestandsaufnahme und Bewertung der Erkenntnisse zu
den Gesundheitsrisiken der Mobiltelefonie legte im Mai des Jahres die Independent
Expert Group on Mobile Phones (IEGMP) in England vor, wo der Mobilfunk-Boom
von rund 175 lokalen und landesweiten Bürgerinitiativen kritisch begleitet
wird. Die von Sir William Stewart von der Royal Society geleitete Expertengruppe
setzte sich aus ausgewiesenen Biologen, Medizinern, Epidemiologen, Physikern
und Nachrichtentechnikern zusammen und war im vergangenen Jahr vom britischen
Gesundheitsministerium einberufen worden - ein deutlicher Affront gegen die
Nationale Strahlenschutzbehörde NRPB und deren eigenen wissenschaftlichen
Beirat zu den Fragen der nicht-ionisierenden Strahlung.
Zusammengefasst kommen die Briten in ihrem Report 'Mobile Phones and Health'
zu folgenden Ergebnissen:
- Im Umfeld von Basisstationen, wo die Exposition weit unter den Grenzwerten
bleibt, besteht kein allgemeines gesundheitliches Risiko für die
dort lebende Bevölkerung.
- Es gibt jedoch deutliche Anzeichen, dass die Exposition der Handy-Nutzer
durch Strahlung mit Intensitäten unterhalb der gültigen ICNIRP-Grenzwerte
direkte, kurzfristige Einflüsse auf die Hirnstromaktivitäten
und die kognitiven Funktionen des Gehirns hat. 'Es besteht ein dringender
Bedarf herauszufinden, ob diese direkten Auswirkungen auf das Gehirn gesundheitliche
Folgen haben, weil dann die Expositionsgrenzwerte neu festgelegt werden
müssen, sofern sich dafür ein Schwellwert angeben lässt.'
Wichtig sei die Klärung der Frage, ob die beobachteten Effekte eine
Folge der lokalen Erwärmung sind oder auf anderen, nicht-thermischen
Mechanismen beruhen.
- Die derzeit verfügbaren epidemiologischen und biologischen Erkenntnisse
lassen nicht den Schluss zu, dass die Exposition mit hochfrequenter elektromagnetischer
Strahlung das Risiko für Krebserkrankungen erhöht. 'Mobiltelefone
sind jedoch noch nicht lange genug im Gebrauch, um eine umfassende epidemiologische
Erfassung ihrer gesundheitlichen Auswirkungen zu erlauben, und wir können
zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit nicht ausschließen,
dass es eine Verbindung zwischen der Mobilfunk-Technik und Krebs gibt.'
- Untersuchungen an Zellen und Tieren deuten nicht darauf hin, dass die
Mobilfunk-Strahlung im Rahmen der festgelegten Grenzwerte schädigende
Einflüsse auf das Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem oder die
Fortpflanzung haben. Selbst eine langandauernde Exposition scheint die
Lebenserwartung nicht zu beeinflussen. Auch die derzeit noch begrenzten
epidemiologischen Erkenntnisse geben diesbezüglich keinen Anlass
zu Besorgnis.
Die IEGMP verkennt nicht die Bedeutung der mobilen Kommunikation als einen
der am kräftigsten wachsenden Wirtschaftszweige, noch dazu einem, auf
dem Europa mit dem GSM-Standard weltweit führend ist; sie verlangt jedoch,
dass sich alle Beteiligten vom Vorsorgeprinzip leiten lassen, 'bis mehr und
wissenschaftlich fundiertere Informationen zu den gesundheitlichen Auswirkungen
verfügbar sind'. Insbesondere sollten die amtlichen Strahlenschützer
mit mehr Offenheit und weniger abwiegelnd an die ungeklärten wissenschaftlichen
Fragen herangehen.
Von den Mobilfunk-Betreibern erwarten die Experten, dass sie
Kinder als
Zielgruppe von ihren Marketingaktivitäten ausnehmen, weil diese auf Grund
ihrer dünneren Schädeldecke und des sich noch entwickelnden Nervensystems
einem größeren Risiko ausgesetzt sind. Die Handy-Hersteller
werden aufgefordert, sich auf standardisierte Testverfahren der Strahlenbelastung
zu verständigen und die SAR-Werte auf den Endgeräten anzugeben;
nach dem Vorbild der Verbrauchswerte von Kraftfahrzeugen sollten die Ergebnisse
solcher Vergleichstests öffentlich leicht zugänglich sein, damit
die Konsumenten bewusstere Kaufentscheidungen treffen können.
Besonders kritisch setzt sich die IEGMP mit der Politik und den von ihr geschaffenen,
speziellen Rahmenbedingungen der Planung und der Standortwahl für die
Basisstationen auseinander, die ohne ein förmliches Genehmigungsverfahren
auch in Wohngebieten errichtet werden können: 'Wir betrachten dies als
unakzeptabel.'
Ohne Beteiligung
Die quasi
genehmigungsfreien Installationspraktiken in England unterscheiden
sich nicht von denen in der Bundesrepublik. Im Rahmen des mit der Lizenz
erworbenen Versorgungsauftrags sind die Mobilfunk-Betreiber lediglich anzeigepflichtig
und müssen nur eine Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde
vorweisen können, dass der Betrieb der Basisstation die festgelegten
Grenzwerte einhält. Ein Genehmigungsverfahren ist mit dem Errichten nicht
verbunden, einzig mit den Grundstücks- oder Gebäudeeigentümer
müssen sie verhandeln und sich mit ihm über die Konditionen einigen.
Ein öffentlich zugängliches Kataster mit den Standorten und Emissionsdaten
der 'ortsfesten Sendeanlagen' gibt es ebenfalls nicht. Vom Gesetzgeber verlangt
die IEGMP nun, die pauschale Betriebsgenehmigung zu widerrufen und die Errichtung
neuer wie auch die Erweiterung bestehender Basisstationen den normalen Antrags-
und Genehmigungsverfahren zu unterwerfen. Genau dies hatten die Sonderrechte
für Mobilfunk-Betreiber vermeiden wollen, weil diese wie der Teufel das
Weihwasser die Einsprüche der Betroffenen fürchteten.
Dabei könnten sie denen recht gelassen entgegensehen. Denn nach dem derzeitigen
Kenntnisstand, so stellen auch die kritischen Briten fest, gibt es keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Exposition mit hochfrequenter elektro
magnetischer
Strahlung unterhalb der ICNIRP-Richtwerte eine Gesundheitsgefährdung
der Allgemeinbevölkerung darstellt. Verglichen mit anderen Risiken des
Alltagslebens - etwa dem
Blutzoll des Straßenverkehrs, der in der
Bundesrepublik Jahr für Jahr die Bevölkerung einer Kleinstadt ausrottet
und die Einwohnerzahl einer Stadt wie Hannover schwer verletzt - mutet
die Gefährdung durch die Mobilkommunikation noch relativ harmlos an.
Richtig schlimm wird es nur, wenn beim Handy-Quasseln am Lenkrad beides zusammentrifft
und das erhöhte Risiko dann Verursacher und unbeteiligte Verkehrsteilnehmer
gleichermaßen trifft. Ob mit Handapparat, Ohr-Clip oder Freisprecheinrichtung
telefoniert wird, macht Untersuchungen zufolge keinen Unterschied; die Gefährdung
geht auch nicht von den Mobilfunk-Wellen aus, sondern ist - darin sind sich
die britischen Experten 'fast sicher' - der Ablenkung durch das Gespräch
selbst zuzuschreiben. (jk)
Literatur
[1] Internationale Strahlenschutz-Kommission für
Nicht-Ionisierende Strahlen, www.icnirp.de
[2] Jiri Silny, Exposition der Allgemeinbevölkerung
durch hochfrequente elektromagnetische
Felder - Plausibilität der gesundheitlichen Unbedenklichkeit, September
1999, www.bmv.gv.at
[3] Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post www.regtp.de
[4] Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik
der RWTH Aachen, Studien über Elektrosmog www.femu.rwth-aachen.de
[5] Nature 417, 405 (2000)
[6] Internationale EMF-Projekt der Weltgesundheitsorganisation,
www.who.ch/emf
[7] Radiation Research 631, 147 (1997)
[8] Independent Expert Group on Mobile Phones, Mobile
Phones and Health www.iegmp.org.uk/IEGMPtxt.htm
Immissionsgrenzwerte der Mobilfunk-Systeme
|
GSM-900 |
DCS-1800 |
elektrische Feldstärke |
42 V/m |
58 V/m |
magnetische Feldstärke |
0,13 A/m |
0,157 A/m |
mittlere Leistungsdichte |
4,5 W/m2 |
10 W/m2 |
Dosimetrie
Im Unterschied zu Röntgen- und Gammastrahlen sind die hochfrequenten
elektro
magnetischen Felder nicht energiereich
genug, um die Bindungskräfte der Moleküle in den Zellen aufbrechen
zu können und auf diese Weise eine Ionisierung zu verursachen. Sie werden
deshalb auch als nicht-ionisierende Strahlung bezeichnet. Von ihr wird angenommen,
dass sie bei geringer Intensität harmlos ist und erst bei hohen Intensitäten
Gewebeschäden verursacht. Sie kann jedoch unterschiedliche Wirkungen
auf biologische Systeme - Zellen, Pflanzen, Tiere oder Menschen - entfalten,
die von der Frequenz und Intensität abhängen.
- HF-Felder über 10 GHz werden an der Hautoberfläche
absorbiert, wobei nur ein sehr geringer Teil der Energie in das darunter
liegende Gewebe eindringt. Die dosimetrische Grundgröße in
diesem Frequenzbereich ist die Leistungsflussdichte in W/m2.
- Felder zwischen 1 MHz und 10 GHz dringen in exponierte Gewebe
ein und erwärmen diese durch Energieabsorption. Die Eindringtiefe
hängt von der Frequenz ab und sinkt mit steigender Frequenz: Sie
verringert sich - gute Nachricht für die E-Netz-Teilnehmer - von
2,5 cm bei 900 MHz auf 1 cm bei 1800 MHz. Die relevante dosimetrische
Größe in diesem Frequenzbereich ist die spezifische Absorptionsrate
(SAR) mit der Einheit W/kg.
- Felder unter 1 MHz bewirken keine signifikante Erwärmung,
können aber elektrische Ströme und Felder im Körper induzieren.
Die relevante dosimetrische Größe in diesem Frequenzbereich
ist daher die Stromdichte in A/m2. Die natürlichen Austauschprozesse
im Körper führen im Gewebe zu 'Grundströmen' in der Größenordnung
von 10 mA/m2; induzierte Stromdichten von über 100 mA/m2
können die Normalfunktion des Körpers beeinträchtigen und
zu ungewollten Muskelkontraktionen führen.
Die für die hochfrequenten Mobilfunkfelder maßgebliche SAR ist
mit einfachen Mitteln nicht direkt zugänglich; sie lässt sich nur
sehr aufwändig am 'Kunstkopf' experimentell bestimmen oder mit gewissen
Annahmen berechnen. So ist die Energieaufnahme in einem bestimmten Gewebe
der Masse m durch msE
2/V gegeben, wobei s und V die Leitfähigkeit
beziehungsweise Dichte des Gewebes sind und E
2 die mittlere quadratische
Feldstärke. Die SAR ergibt sich dann durch sE
2/V. Sie variiert
innerhalb des Körpers, da die elektrische Feldstärke ortsabhängig
ist und die Leitfähigkeit von der Art des Gewebes abhängt, (die
Dichte ist im Wesentlichen konstant und beträgt mit Ausnahme der Knochen
0,001 kg/m
3). Legt man eine durchschnittliche Gewebeleitfähigkeit
von 1 S/m zu Grunde, so beträgt bei der Frequenz von 900 MHz die typische
elektrische Feldstärke 30 V/m, um eine SAR von 1 W pro kg Gewebemasse
zu erzielen.
Auf diese Weise lässt sich die tatsächliche Exposition (des Menschen
an einem bestimmten Ort) in Beziehung zu den leichter messbaren Immissionswerten
(an diesem Ort) setzen. Da elektrische Feldstärke (in V/m) und Leistungsflussdichte
(in W/m
2) in einer festen physikalischen Beziehung zueinander stehen
und sich ineinander umrechnen lassen, ist die Angabe der Immissionsgrenzwerte
sowohl in der einen als auch in der anderen Größe üblich.
Vermutungen und Entwarnungen
Die britische
Independent Expert Group on Mobile Phones hat in ihrer
Studie 'Mobile Phones and Health' einige zentrale Punkte der Diskussion um
die Auswirkungen elektro
magnetischer
Felder von Handys zusammengefasst.
Kanzerogenität: Das krebsauslösende Potenzial hochfrequenter
elektro
magnetischer Felder ist umstritten.
Theoretisch lassen sich negative Einflüsse auf die
DNA nicht begründen,
da die Mobilfunkstrahlung nicht energiereich genug ist, um molekulare Bindungen
auf direktem Wege aufzubrechen.
Einige Studien behaupten auf Grund von Tierversuchen, dass HF-Felder Tumore
auslösen, die Wirkung bekannter kanzerogener Stoffe verstärken oder
das Wachstum transplantierter Tumore beschleunigen können. Dies könnte
auf die hohe Dosis der Exposition und thermische Effekte zurückzuführen
sein.
Insgesamt gibt es keine Erkenntnisse aus In-vitro- und In-vivo-Experimenten,
dass eine akute oder chronische Exposition mit HF-Feldern die Häufigkeit
des Auftretens von Mutationen oder Chromosom-Veränderungen verstärkt,
solange die Temperaturen im physiologischen Bereich bleiben.
Kalziumtransport: Kalziumionen signalisieren Zellen das An- und Abschalten
von Genen und spielen eine wichtige Rolle bei der Zellteilung. Hochfrequenzfelder
mit Intensitäten deutlich unterhalb von thermischen Wirkungen können
den Transport von Kalzium und anderen Ionen durch die Membranen von Nervenzellen
(Neuronen) beeinflussen. Solche Effekte wurden jedoch nur unter sehr speziellen
Bedingungen beobachtet (Amplitudenmodulation mit 16 Hz), die für Mobilfunksysteme
irrelevant sind.
Lebenserwartung: In Tierversuchen ist kein Einfluss von HF-Feldern
auf die Lebenserwartung nachgewiesen worden.
Fortpflanzung: Versuche an Laborratten haben keinen Nachweis erbracht,
dass mobilfunktypische HF-Felder den Fötus schädigen oder die Fruchtbarkeit
beeinträchtigen.
Herz-Kreislauf-System: Tierversuche rechtfertigen keine Bedenken etwaiger
Auswirkungen auf Herz oder Kreislauf, solange die Intensität im mobilfunktypischen
Bereich bleibt; beobachtete Effekte bei sehr hohen Intensitäten sind
anscheinend auf die Erwärmung des Körpers zurückzuführen.
Hirnstrom-Aktivitäten und kognitive Funktionen: Kontrollierte
Versuche mit menschlichen Probanden deuten darauf hin, dass die Exposition
mit Mobilfunksignalen unterhalb der geltenden Intensitätsgrenzwerte
biologische
Effekte auslösen, die hinreichend stark sind, um das Verhalten zu beeinflussen.
Der Ursache-Wirkungs-Mechanismus ist unklar. Langfrist-Effekte sind unbekannt;
die bisherigen Untersuchungen beschränkten sich auf die Kurzzeit-Exposition.
Tierversuche zeigten unspezifische,
stress-ähnliche Veränderungen
im Gehirn von Laborratten unter dem Einfluss von gepulsten HF-Feldern
niedriger Intensität.
Gedächtnis und Lernfähigkeit: 'Es gibt keine konsistenten
experimentellen Belege dafür, dass die Exposition mit HF-Feldern geringer
Intensität Gedächtnis und Lernverhalten in Tieren beeinflusst. [...]
Untersuchungen an menschlichen Probanden sind nötig, um einschätzen
zu können, ob die Felder von Mobiltelefonen irgendeine Auswirkung auf
die Lernfähigkeit und das Gedächtnis haben.'
Augen: Das Auge reagiert besonders empfindlich auf die Einwirkung elektro
magnetischer
Felder, weil es auf Grund der geringen Durchblutung induzierte Erwärmungen
nur schwer abführen kann; schon kleinere Schädigungen können
irreversibel sein und sich aufsummieren.
Augenreizungen und Linsentrübungen
('grauer Star') sind in Tierversuchen nachgewiesen worden, dies allerdings
bei deutlich höheren Belastungen als sie von einem Handy ausgehen. Versuche
an Primaten zeigen, dass
gepulste HF-Felder auch niedriger Intensität
das Auge schädigen können. 'Die Studien geben Anlass zu ernsthafter
Besorgnis über mögliche Beeinträchtigungen des Auges durch
gepulste HF-Felder mit hohen Spitzenleistungen.'
Melatoninhaushalt: Melatonin ist ein Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus
bei Mensch und Tier steuert; des Weiteren schützt es die genetische Information
der Zellen vor Schädigungen. Im Zusammenhang mit niederfrequenten Feldern
im Umfeld von Hochspannungsleitungen behauptet die Melatonin-Hypothese einen
Einfluss auf die Tumorentstehung, der jedoch nicht abschließend geklärt
ist. Es gibt nur wenige Untersuchungen zum Einfluss von hochfrequenten Feldern
auf die Melatoninproduktion; sie haben den Verdacht nicht erhärtet.
Blut-Hirn-Schranke: Die Blut-Hirn-Schranke ist ein Filter, das verhindert,
dass große Moleküle aus der Blutbahn in die Gehirnflüssigkeit
gelangen. Die Erkenntnisse zu einer Beeinträchtigung der Filterwirkung
durch HF-Exposition sind inkonsistent und widersprüchlich; jüngere
Arbeiten haben keinen Effekt nachgewiesen.
Gerangel um Grenzwerte
Seit Italien und die Schweiz aus dem internationalen Konsens ausscherten und
unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip die zulässigen Emissionen von
Basisstationen deutlich niedriger als die Empfehlungen der Internationalen
Strahlenschutz-Kommission für Nicht-Ionisierende Strahlen (ICNIRP) begrenzten,
befürchten die Mobilfunkbetreiber, dass nun ein Wettlauf um die niedrigsten
Immissionsstandards einsetzt.
Italien hatte 1998 die Grenzwerte auf ein Hundertstel der ICNIRP-Empfehlungen
herabgesetzt; in der Schweiz sind seit dem 1. Februar in Wohngegenden sowie
im Umfeld von Schulen und Krankenhäusern nur noch elektrische Feldstärken
von höchstens 4 V/m für GSM-900-Antennen und 6 V/m für DCS1800-Basisstationen
zulässig. Die neue Verordnung über den Schutz vor nicht-ionisierender
Strahlung zwingt die Betreiber, in dicht besiedelten Gebieten die Funkzellen
zu verkleinern und mehr Basisstationen mit kleinerer Leistung aufzustellen.
Im Fall der eidgenössischen Republik werden die zusätzlichen Kosten
auf eine Milliarde Schweizer Franken geschätzt.
Grenzwerte sind der klassische Schauplatz, auf dem über die Akzeptanz
oder Zumutung kollektiver Risiken gerungen wird. In der Bundesrepublik war
der Wechsel von der DIN/VDE-Norm 0848 zu den schärferen ICNIRP-Richtlinien
vor allem auf die jahrelange Kritik zurückzuführen, dass zuvor eher
die Vertreter der einschlägigen Industrie als unabhängige Fachwissenschaftler
im Kleingedruckten der Mess- und Bewertungsverfahren den Ton angaben. Ob hormonähnliche
Substanzen im Trinkwasser oder Pestizid-Rückstände in Lebensmitteln
- das Setzen von Umweltstandards ist immer dann besonders heftig umstritten,
wenn es mit einer rechtlichen Güterabwägung zwischen ungewissen
Folgewirkungen (dem 'Ignoranzrisiko') und den konkret greifbaren Folgekosten
einer Immissionsreduzierung verbunden ist.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat die EU-Kommission deshalb im
Februar eine Empfehlung vorgelegt, die Kriterien für die Anwendung des
Vorsorgegedankens aufstellt. Dazu gehört unter anderem die Verhältnismäßigkeit:
Grenzwerte sollten 'nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten
Schutzniveau stehen und nicht auf ein 'Null-Risiko' abzielen, das sich nur
selten verwirklichen lässt'. Sie sollen sich auf Kosten/Nutzen-Analysen
des Tätigwerdens oder Unterlassens stützen und stets unter dem Vorbehalt
der Überprüfung durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse stehen.
Als weiteren Grundsatz zur Festlegung rechtlicher Eingriffsschwellen fordert
die EU-Kommission 'Kohärenz': 'Lässt sich das Risiko wegen fehlender
wissenschaftlicher Daten und in Anbetracht bewertungsinhärenter Unklarheiten
nicht beschreiben, so müssen die getroffenen Vorsorgemaßnahmen
anderen Maßnahmen, die in ähnlichen Bereichen getroffen wurden,
in denen alle erforderlichen wissenschaftlichen Daten vorliegen, inhaltlich
entsprechen und von gleicher Tragweite sein.'
Im Klartext: Das Risiko des Nichtwissens hat sich an bekannten, aber akzeptierten
Risiken in anderen Lebensbereichen zu messen. Solcherart Kohärenz-Check
hat freilich seine Tücken, denn wo sucht man den Bezugspunkt des Vergleichs
- beim motorisierten Individualverkehr (1999: 7749 Tote) oder der Wahrscheinlichkeit,
beim Spaziergang im Stadtpark von einem herabfallenden Ast erschlagen zu werden?